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Kommunikationstraining

by ulbricht
Kofo am 11. Dezember 2002

"Kommunikationstraining" für Schwerhörige, Ertaubte und CI-TrägerInnen

Referent: Christian Schausen (Audiotherapeut)

Eine neue Moderatorin im Kofo

Ilse Grinz übernahm die Moderation für dieses Kofo. Sie ist Vorsitzende im DSB-Ortsverein Essen und kennt die Problematik gut aus ihrer Beratungsarbeit. Sie begründet das heutige Thema:

Wenn ein guthörender Mensch sein Gehör verliert, dann ist das ein großer Einschnitt. Gute Technik kann das Hören nicht ersetzen. Die Betroffenen möchten aber in der hörenden Welt bleiben. Deshalb ist das Kommunikationstraining notwendig.

Kommunikationstraining
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Der Referent

Christian Schausen ist Diplom-Sozialpädagoge und Audiotherapeut. Zur Zeit arbeitet er in Aachen im Integrationsfachdienst.
Er ist von Geburt an hochgradig schwerhörig und weiß aus eigener Erfahrung: Es ist sehr schwer, sich mit den eigenen Kommunikationsgrenzen auseinander zu setzen. Viele Schwerhörige leben lange Zeit angepasst und verstecken ihre Behinderung.

Während seiner Berufstätigkeit lernte er Schwerhörige kennen, die erst später, im Jugend- oder Erwachsenenalter, ihr Hörvermögen verloren haben. Er erfuhr viel von ihren Ängsten, ihrer Trauer und Einsamkeit.

Welche Folgen hat eine Hörschädigung ?

Eine Hörschädigung bedeutet nicht nur „leiser hören“. Man kann sie nicht korrigieren wie eine Sehbehinderung. Das Hörgerät funktioniert nicht wie eine Brille. Viele Menschen wissen das aber nicht. Sie sind von der Technik enttäuscht und legen das Hörgerät in die Schublade. Es gibt auch kaum Beratung und Hilfe. Oft heißt es nur: „Stell’ dich nicht so an !“
Die Betroffenen schweigen und leiden an ihrer Einsamkeit. Sie verdrängen und verstecken ihre Behinderung. Die Folge sind Krankheiten.
 
Kommunikation bedeutet: Stress. Ein Hörgeschädigter beschreibt es so:
 
„Es ist Schwerstarbeit, wissen Sie, als Hörgeschädigter mit jemandem zu reden. Ich versuche dauernd zu hören, was Sie sagen; man kann sich mit jemand einfach nicht entspannt unterhalten, wenn man auf der Stuhlkante sitzt, lauert, horcht und dauernd denkt: Habe ich alles richtig verstanden ?…“
Hinzu kommen Probleme am Arbeitsplatz und in der Familie.

Wie viele Hörgeschädigte gibt es in Deutschland ?

In Deutschland gibt es 13 Millionen Hörgeschädigte über 14 Jahren – das sind 19 % der Bevölkerung. Wenn man diese Zahlen auf die Städte Essen und Köln überträgt, dann leben in Köln 157.000 und in Essen knapp 100.000 hörgeschädigte Menschen.
Für diese Menschen gibt es nur drei Rehabilitationszentren: Bad Berleburg, Bad Grönenbach und Rendsburg.

Das neue Berufsbild: AudiotherapeutIn

Eine Hilfe vor Ort ist also dringend notwendig.
Deshalb hat der Deutsche Schwerhörigenbund einen neuen Ausbildungsgang geschaffen: die Weiterbildung zum/zur „AudiotherapeutIn“. Die erste Prüfung im Oktober 2000 haben 16 TeilnehmerInnen bestanden. In diesem Jahr sind weitere 22 AudiotherapeutInnen dazugekommen. 25 dieser AbsolventInnen sind selbst hörgeschädigt.

Was ist das Ziel von Audiotherapie ? Wie sieht die Therapie aus ?

Audiotherapie soll hörgeschädigten Menschen mit und ohne Hörgerät oder CI helfen, genau zu hören und zu verstehen. Das ist bei jedem Menschen anders. Deshalb wird zuerst ermittelt: Wo liegt das Problem ? Was braucht der Betroffene ?
Dann wird ein Therapieplan erstellt.
Am Anfang wird Grundwissen über Kommunikation vermittelt. Besonders wichtig sind diese Fragen: Welchen Zusammenhang gibt es zwischen Hörverlust und Sprachverstehen ? Was kann ich ändern, um besser zu verstehen ?
Wie wirkt sich der ständige Hörstress auf meine Stimmung, Leistung, zwischenmenschliche Beziehungen aus ?
Danach beginnt das Kommunikationstraining: richtiges Hören und Zuhören, Absehen vom Mund, Kombinieren und Schlüsse-Ziehen, Deuten von Gestik, Mimik, Körpersprache, Lernen von LBG, Kommunikationstaktik, Umgang mit Misserfolgen, Entspannungstechniken.
Zur Audiotherapie gehört auch eine ausführliche Beratung über verschiedene technische Hilfsmittel für zu Hause, unterwegs und am Arbeitsplatz.
Das alles wird auch in Gruppenarbeit vermittelt. Der Kontakt zu Gleichbetroffenen ist sehr wichtig.
Alle Lebensbereiche der Betroffenen müssen berücksichtigt werden. Deshalb ist eine gute Zusammenarbeit mit den Reha-Trägern, mit HNO-Ärzten, Hörgeräteakustikern und Beratungsstellen wichtig.

Wer bezahlt die Audiotherapie ?

Audiotherapie ist ein ganz neues Angebot. Deshalb muss man für die Anerkennung noch kämpfen. Einige Krankenkassen übernehmen die Kosten ganz oder teilweise.
Mit dem Sozialgesetzbuch IX gibt es bessere Möglichkeiten, die Kostenübernahme durchzusetzen.

Ein neuer Berufsverband wurde gegründet

Im letzten Jahr wurde in Berlin der „Berufsverband der deutschsprachigen AudiotherapeutInnen e.V.“ gegründet, um die Arbeit der Audiotherapeuten öffentlich zu vertreten. Ziel ist u.a.: Audiotherapie soll in den Hilfsmittelkatalog aufgenommen werden.

Wer Fragen hat, kann sich an den Berufsverband wenden:
Berufsverband der deutschsprachigen AudiotherapeutInnen e.V.
Frau Birgit Seidler-Fallböhmer (Vorsitzende)
Stummstr. 1
66538 Neunkirchen/Saar

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Die Diskussion

Nach diesem interessanten und gut verständlichen Vortrag begann die Diskussion. Die Fragen und Antworten sind hier zusammengefasst:

– Wie entsteht der Kontakt zu einem Audiotherapeuten ? Wer übernimmt die Kosten ?

Der Berufsverband und die einzelnen AudiotherapeutInnen vor Ort, ggfs. die lokale Beratungsstelle können Betroffene informieren und bei Anträgen auf Kostenübernahme unterstützen. Berufstätige sollten es über „Hilfen im Arbeitsleben“ (Integrationsamt) versuchen, andere sollten bei der Krankenkasse probie

Warum haben viele Schwerhörige Probleme, ihre Hörschädigung zu akzeptieren ? Warum werden Hörgeschädigte im hörenden Umfeld nicht verstanden ?

Hörschädigung ist eine „unsichtbare“ Behinderung. Hörende verstehen deshalb die Schwierigkeiten nicht. Hörgeschädigte haben Angst, für dumm gehalten zu werden. Sie überspielen ihre Behinderung.

Immer mehr hörgeschädigte Schüler werden in Regelschulen unterrichtet. Sie haben wenig Kontakt zu Gleichbetroffenen. Die Lehrer dort haben keine oder wenig Erfahrung mit Hörschädigung. Ist das auch ein Einsatzbereich für Audiotherapeuten ? Wer trägt die Kosten ?

Das Therapie-Konzept ist für ältere Hörgeschädigte erstellt, aber man kann sie auf jüngere übertragen. Christian Schausen hat selbst an einem solchen Konzept gearbeitet. Wenn Audiotherapie für die Vorbereitung auf das Berufsleben wichtig ist, dann muss man versuchen, ob evtl. das Arbeitsamt oder das Integrationsamt die Kosten übernimmt.

Wie sieht es mit der Familie / mit den hörenden Partnern hörgeschädigter Menschen aus ? Die Scheidungsrate ist sehr hoch, weil beide Partner mit der schwierigen Situation nicht klarkommen. Soll der Partner als Helfer auftreten, wo sind die Grenzen ?

Alle Lebensbereiche werden einbezogen. Die Familienangehören können teilnehmen, wenn alle einverstanden sind. Die Partner müssen lernen: wie gehen wir miteinander um ? Manche hörenden Partner sind sich nicht bewusst, dass sie dem hörgeschädigten Partner die Selbständigkeit rauben.

Wie ist die Ausbildung zum Audiotherapeuten ? Wie sind die Berufsaussichten ?

Es ist eine berufsbegleitende Weiterbildung. Voraussetzung ist ein Beruf im Bereich Akustik, Medizin, Pädagogik , Psychologie oder langjährige Beratungserfahrung. Die Ausbildung dauert 1 Jahr. Es ist eine interessante und empfehlenswerte Ausbildung. Die Prüfung nehmen Professoren aus verschiedenen Hochschulen ab.

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Zu den Berufsaussichten kann man noch wenig sagen. Der Bedarf ist da, aber für die Kostenübernahme stehen wir noch am Anfang. Der DSB und der Berufsverband setzen sich dafür ein.

Ist diese neue Ausbildung Konkurrenz für die Hörgeräte-Akustiker ?
Ja, die Innung der Akustiker empfindet uns als starke Konkurrenz.

– Die meisten Absolventen sind selbst hörgeschädigt. Können Hörgeschädigte diese  Ausbildung genauso wie Hörende machen ?
Haben Betroffene einen Vorteil ?
In der Ausbildung benutzen wir technische Hilfen, z.B. Konferenzanlagen. In der beruflichen Praxis haben hörgeschädigte Therapeuten Vorteile: Sie wissen, wovon sie reden. Das schafft Vertrauen.

Text: Helga Ulbricht
Fotos: Frank Brüggemann

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