Jahrgang 2017
2017
Vegan leben?
Benedikt J. Sequeira Gerardo (Berlin)
Es ist schon 3 Jahre her, dass Benedikt („bengie“) das letzte Mal auf der Kofobühne stand. Höchste Zeit, unseren ehemaligen Moderator wieder nach Essen zu holen. Mit ca. 80 ZuschauerInnen war die Veranstaltung gut besucht.
Zunächst erklärte der Referent den Unterschied zwischen vegetarisch (Verzicht auf Fleisch und Fisch) und vegan (Verzicht auf alle tierischen Produkte). Eine rein vegane Lebensweise bedeutet auch, keine Kosmetika zu benutzen, für deren Herstellung Tierversuche durchgeführt wurden; keine Woll- oder Lederkleidung zu tragen, auf Zirkus- und Zoobesuche zu verzichten. Eine 100% vegane Lebensweise ist allerdings kaum möglich.
Benedikt betonte, dass vegane Ernährung keine Ernährungseinschränkung bedeutet. In gut ausgestatteten Supermärkten gibt es immer mehr Angebote. Als Beispiel nannte er Milch: Tierische Milchsorten gibt es nur wenige: Kuhmilch, Ziegenmilch, Schafsmilch. Das vegane „Milch“ –Angebot ist da vielfältiger: Sojamilch, Hafermilch, Kokosmilch, Mandelmilch, Reismilch….
Interessant ist der kulturelle Aspekt: Welches Fleisch verzehrt wird – und ob überhaupt Fleisch verzehrt wird – ist kulturell und religiös sehr unterschiedlich. In unserem Kulturkreis isst man kein Katzen-, Hunde- und Insektenfleisch – in asiatischen Kulturen schon. Bei uns wird dagegen viel Schweinefleisch verzehrt, obwohl Schweine zu den intelligentesten Tieren zählen. Unseren Fleischkonsum empfinden wir als „normal“, obwohl dahinter – wie der Referent es bezeichnet – ein „unsichtbares Glaubenssystem“ steckt und große Teile der Weltbevölkerung sich völlig anders ernähren. Auch der Verzehr von Milchprodukten ist weltweit sehr unterschiedlich. 75% der erwachsenen Weltbevölkerung vertragen (genetisch bedingt) keinen Milchzucker und müssen sich deshalb ohne Milchprodukte ernähren.
Als wichtige Ziele für eine vegane Lebensweise nannte Benedikt:
- Tierschutz (industrielle Tiermast, Milch- und Eierproduktion ist Tierquälerei und auch für den Menschen schädlich)
- Sicherung der Welternährung (Ein Großteil der Weltgetreideernte wird für die Tiermast benötigt)
- Klimaschutz (Die Produktion von 1 kg Rindfleisch verursacht so viel klimaschädliche Gase wie eine Autofahrt quer durch Deutschland)
- Schutz der Wasserressourcen (Zur Produktion von 1 kg Käse benötigt man 5 Tonnen Wasser).
In der anschließenden Diskussion bekam der Referent viel Lob für seinen wunderbar anschaulichen und informativen Vortrag. Es wurden aber auch einige kritische Aspekte genannt. Benedikt antwortete ausführlich, die Antworten sind hier nur in Kürze wiedergegeben:
- Viele vegane Lebensmittel enthalten Zusatzstoffe, damit sie so schmecken wie Wurst oder Käse.
- Man muss sich sehr bewusst ernähren, damit der Körper mit wichtigen Vitaminen (z.B. B12) und Mineralstoffen versorgt wird. (Es gibt widersprüchliche Forschungsergebnisse, er selbst hat nach 5 Jahren veganer Ernährung keine Mangelerscheinungen)
- Der Partner muss mitmachen, wenn man einen gemeinsamen Haushalt führt. (Ja, in einer Partnerschaft können unterschiedliche Einstellungen schwierig sein; das ist bei ihm nicht der Fall)
- Eine vegane Lebensweise kann von Kindern als Einschränkung erlebt werden und das Familienleben belasten. (Die Familienerfahrung fehlt ihm noch – seine Familie würde zu Hause vegan leben, aber keinen Zwang auf die Ernährung der Kinder außer Haus ausüben)
- Auch mit einer streng artgerechten Tierzucht und deutlich weniger Fleischkonsum kann man Klima und Tiere schützen. (Ja, man kann die oben genannten Ziele auf unterschiedlichen Wegen erreichen)
- Vegane Ernährung ist teuer. (Ja, aber die Politik subventioniert Fleisch- und Milchprodukte. Eine Diskussionsteilnehmerin wies noch darauf hin, dass viele Deutsche beim Auto nicht sparen, aber bei der eigenen Ernährung).
Zum Schluss betonte der Referent, dass er niemandem seine Lebens- und Ernährungsweise vorschreiben wolle. Diese tolerante Einstellung ist sehr sympathisch, denn so sind auch Menschen willkommen, die schrittweise eine Änderung des Gewohnten versuchen wollen oder nicht alle Überzeugungen teilen.
Moderation:
Katrin Müller
Gebärdensprachdolmetschen:
Maggie Meisen, Bastienne Blatz (Skarabee)
Schriftdolmetschen:
Cornelia Krajewski, Mario Kaul
Fotos:
Ingo Langner
Kompetenzzentrum Selbstbestimmt Leben für Menschen mit Sinnesbehinderung
Leitung und MitarbeiterInnen des KSL Essen stellen das Angebot vor
Seit einem Jahr arbeitet das KSL für Menschen mit Sinnesbehinderung im Haus der Technik in Essen, aber Zielsetzung und Angebote sind noch nicht überall bekannt. Wir haben uns deshalb gefreut, dass die Leitung des Zentrums, Alexandra Janaszek und ihr gesamtes Team unserer Einladung gefolgt sind. Frau Janaszek stellte kurz das Projekt vor: Einzugsgebiet ist NRW, die Projektdauer zunächst bis 2019, es gibt 3 Fachbereiche: Hören (Doris Bednarek), Sehen (Lisa Stiller) und Taubblind (Melanie Wegerhoff).
Doris Bednarek erklärte anschließend ausführlich Zielsetzung und Projekte des Kompetenzzentrums. Zu diesen zählen u.a. eine Checkliste für Barrierefreie Veranstaltung und für die Durchführung barrierefreier Wahlen, die Information über barrierefreie Notrufsysteme, die Sensibilisierung von Beamten in Ausbildung für die Kommunikationssituation sinnesbehinderter Menschen und Hilfestellung bei der Beantragung des Persönlichen Budgets. Es war ein sehr lebendiger Vortrag und man staunte, wie viele wichtige Projekte das KSL bereits in Angriff genommen hat. Wichtig ist auch die Netzwerkarbeit, um eigene Projekte mit bereits bestehenden zu verknüpfen.
In der anschließenden Diskussion konnten noch viele Fragen beantwortet werden.
Ein Blick in die Website des KSL-MSi-NRW lohnt sich, hier kann man auch Formulare und Broschüren herunterladen, die auf der Veranstaltung auslagen:
Moderation:
Ralf Kirchhoff
Gebärdensprachdolmetschen:
Maggie Meisen, Julia Beer (Skarabee)
Schriftdolmetschen:
Cornelia Krajewski, Mario Kaul
Fotos:
Ingo Langner
Auf Weltreise
Calvin Young
(Austin/Texas, Seek The World)
Dieses Kofo schlug unseren Besucherrekord: Mehr als 160 BesucherInnen kamen zu diesem Kofo-Abend! Darunter auch viele Schüler und Bewohner der Internate.
Calvin begann seinen Vortrag mit einer beeindruckenden Aufzählung: 53 Länder in 4 Kontinenten hat er bisher besucht und ist weiterhin auf der Reise. Er berichtete, dass er vorher ein kleines Unternehmen mit 7 Beschäftigten führte aber bald feststellen musste, dass ihn diese Arbeit nicht glücklich macht. Während einer Auszeit in Thailand merkte er, was ihn wirklich zufrieden macht: die Welt entdecken. Aber wie kann man ein solches Leben finanzieren? Calvin fand einen Weg und begann, mit Film- und Fotoarbeiten während der Reise Geld zu verdienen. Täglich arbeitet er 6-8 Stunden. Außerdem lernte er, mit wenig Geld auszukommen, z.B. im Internet nach den billigsten Flügen zu recherchieren, Couch-Surfing zu nutzen und immer Kontakt zu gehörlosen Menschen vor Ort zu suchen. Seine Erfahrungen möchte er gerne an die Deaf Community weitergeben und empfahl allen Kofo-BesucherInnen, auf sich zu achten und die eigenen Wünsche zu verwirklichen. Zwei Jahre war Calvin alleine unterwegs, seit diesem Jahr wird er von einem Freund – Justin Perez – begleitet, der auch auf dem Kofo anwesend war. Im Team zu arbeiten und gemeinsam auf Reisen zu sein macht natürlich noch mehr Spaß. Für die Zukunft kann er sich auch vorstellen, als Reiseführer tätig zu sein.
Calvin betreut eine interessante Plattform, auf der man seine Erfahrungen,Tipps und Videos lesen und anschauen kann:
Seek the World | Sign Language | Deaf Stories | Adventure Travel Blog
Moderation:
Katrin Müller
Gebärdensprachdolmetschen:
Bastienne Blatz, Maggie Meisen, Rafael Grombelka (Skarabee)
Schriftdolmetschen:
Cornelia Krajewski, Mario Kaul
Fotos:
Ingo Langner
(M)Ein Jahr mit Sinn – Kamerun
Inna Shparber
(Studentin, München/Frankfurt)
Inna Shparber verbrachte nach ihrem Abitur ein Freiwilliges Soziales Jahr in Kamerun, unterrichtete dort an einer Schule für Gehörlose und betreute Schüler im Internat. Aus dieser Zeit berichtete sie auf dem Kofo. Passend zum Kofo-Datum begann sie mit einer Schilderung der Demonstration zum Internationalen Frauentag in der Stadt Buea, in der sie wohnte und arbeitete. Der Alltag in der Schule, das Leben in einem Studentenwohnheim, die Gastfreundlichkeit der Kameruner, die gute Vor- und Nachbereitung durch die Entsende-Organisation bezev – All das war Thema ihres sehr lebendigen und spannenden Vortrages. Referentin und Zuschauer vergaßen darüber die Zeit und so mussten wir leider die vorgesehenen Inhalte etwas abkürzen, damit noch etwas Raum für die Diskussion blieb. Junge ZuschauerInnen konnten viele nützliche Informationen erhalten und wurden motiviert, einen eigenen Auslandsaufenthalt zu wagen.
Wer Interesse hat, findet hier weitere Informationen und kann nachfragen:
Moderation:
Katrin Müller
Gebärdensprachdolmetschen:
Bastienne Blatz, Julia Beer (Skarabee)
Schriftdolmetschen:
Cornelia Krajewski, Mario Kaul
Fotos:
Kofoteam
Resilienz
Simon Kollien
(Dipl.-Psychologe, Hamburg)
Mit ca. 100 Besuchern war die Mensa des Internats gut gefüllt, als Simon Kollien seinen Vortrag begann. Er erklärte zunächst den Betriff „Resilienz“, der in den letzten Jahren immer häufiger benutzt wurde. Im vergangenen Jahr gab es in Bern einen internationalen Fachkongress, auf dem alle Aspekte von Resilienz bei gehörlosen Menschen erörtert wurden. In der jüngeren psychologischen Forschung wird damit die Widerstandsfähigkeit eines Menschen bei psychischen Belastungen bezeichnet. Simon gebärdete den Begriff wie „dickes Fell“ und meinte, dass damit diese Eigenschaft gut gezeigt wird.
Der Referent ging im ersten Teil seines Vortrags auf negative Erfahrungen gehörloser Menschen ein, die schlimmstenfalls zu kumulativen Traumata (immer wiederkehrende Belastungen) führen können. Anschließend stellte er wissenschaftliche Studien zur Resilienz vor, wie die „Kauai-Studie“ von Emmy Werner. Die Psychologin untersuchte auf der haitischen Insel die Entwicklung von Kindern aus schwierigen familiären Verhältnissen und stellte fest, dass 1/3 der Kinder ein normales Leben mit Familie und beruflichem Erfolg geschafft haben. Man kann heute 7 „Säulen“ benennen, die wichtig sind für eine psychische Stabilität: Akzeptanz (sich selbst und andere Menschen annehmen), Lösungsorientierung (Strategien zur Problemlösung entwickeln), Netzwerk-Orientierung (soziale Kontakte knüpfen), Opferrolle verlassen (also selbst aktiv werden und nicht anderen Menschen oder den Verhältnissen die Schuld geben), Optimismus, Selbstwertgefühl und Zukunftsplanung.
Simon stellte die Frage an das Publikum, wodurch gehörlose Menschen die eigene Stabilität stärken können. Genannt wurde ehrenamtliche Arbeit im Verein, Mitgliedschaft im Sportverein, Pflege von Freundschaften und Teilnahme an kulturellen Angeboten der Gebärdensprachgemeinschaft wie das Kulturfestival. Gebärdensprache und das soziale Netz der Gebärdensprachgemeinschaft gilt als sehr wichtiger Resilienzfaktor. Um hörbehinderte Menschen mit geringer psychischer Stabilität zu unterstützen, ist Folgendes wichtig: Soziale Netzwerke für alle Hörbehinderten anbieten, Angebot von DGS- und Weiterbildungskursen für alle Menschen, die in Gebärdensprache und Allgemeinbildung nicht sicher sind, Abbau von Verhaltensweisen, die das Selbstwertgefühl verringern (z.B. Mobbing in sozialen Netzwerken).
Anschließend stellte Simon kurz die Forschungen zu „Deaf Gain“ von Bauman und Murray vor. Gehörlose Menschen haben Vorteile durch ihre Taubheit – so können sie z.B. konzentrierter und erfolgreicher visuell arbeiten als hörende Menschen. Mit einem kurzen Film (eine gespielte Klassenszene mit Marlee Matleen) wollte Simon die Wertschätzung der eigenen Taubheit in einer Klasse gehörloser Schüler zeigen:
Der Vortrag war sehr interessant, ließ aber zu wenig Zeit zur Diskussion. Dafür gab es in der Pause anregende Gespräche. Und wer wollte, konnte die Aussprache mit dem Referenten anschließend in der Kneipe nachholen.
Kontakt zum Referenten: simon.kollien@uni-hamburg.de
Moderation:
Ralf Kirchhoff
Gebärdensprachdolmetschen:
Bastienne Blatz, Julia Beer (Skarabee)
Schriftdolmetschen:
Cornelia Krajewski, Ulrike Kretzer
Fotos:
Kofoteam