Jahrgang 2012
2012
Lebenswege für gehörlose Kinder – mit und ohne Cochlear Implant
Referenten: Liane Boy (gl) und Uwe v. Stosch (hd),
Mitarbeiter der Initiative GIB ZEIT
Das Internet eröffnet immer mehr Kommunikationsmöglichkeiten für hörbehinderte Menschen. Zwei neue Angebote haben wir auf diesem Kofo vorgestellt – und waren erleichtert, dass der technische Ablauf wunderbar klappte:
Marion Köppel von VerbaVoice informierte über Deutschlands ersten mobilen Schriftdolmetschdienst. Über Notebook oder sogar Handy kann man mitlesen was gesprochen wird. Die Referentin demonstrierte eine Life-Mitschrift. Der Dolmetscher wird dabei über das Internet zugeschaltet und muss nicht persönlich anwesend sein. Auch die Transkription englischer Vorträge ist zurzeit schon möglich – ein großer Vorteil für den Einsatz im Studium. In Zukunft wird es mit VerbaSign auch Angebote für gebärdensprachorientierte Nutzer geben. www.verbavoice.de
ZignoO-Videomail ist eine Kommunikationsplattform, die vollständig auf die Bedürfnisse gebärdensprachlich kommunizierender Menschen abgestimmt ist. Ohne zusätzliche Software kann man durch Videomails überall auf der Welt miteinander in Kontakt treten, nur eine Webcam ist nötig. Der Referent Knut Weinmeister erklärte die Nutzung dieser Plattform, die mit Basis-Funktionen kostenlos angeboten wird. Die Verwaltung der Mails ist genauso einfach wie bei herkömmlichen Mailprogrammen. Der Datenschutz wird ebenso gewährt: Nur die Empfänger können das Video unter www.zignoo.com (die Domaine existiert nicht mehr) schauen.
Während und nach dem Kofo gab es noch zahlreiche Nachfragen. Wir hoffen, dass unsere Besucher mit vielen neuen Anregungen nach Hause gefahren sind.
Burnout bei Hörgeschädigten
Referentin: Ulla Liss
(Dipl.-Psychologin, Dipl.-Sozialwiss.)
An diesem Kofo-Abend wurden wir von einem Besucheransturm überrascht: Ca. 120 Besucherinnen und Besucher drängten sich in der Mensa des Internates. Ein deutlicher Hinweis, dass dieses Thema viele Menschen betrifft. Aber auch ca 20 Schüler der Gymnasialen Oberstufe mit ihren Lehrern waren unter den Gästen – sie wollten diese Veranstaltung in Hinblick auf Kommunikation und Verständlichkeit kritisch bewerten. Vielen Dank an Schüler und Lehrer für ihr Feedback!
Frau Liss begann mit dem Begriff „Burnout“ und erklärte, dass es sich nicht um eine anerkannte medizinische Diagnose handelt – im Gegensatz zur Depression. Man muss unterscheiden: Handelt es sich nur um Erschöpfungszustände durch Stress (beruflich und/oder privat), dann kann man durch Erholungspausen und eine geänderte Lebensweise (Sport, Entspannung) wieder zur normalen Balance zurückfinden. Hat man aber Ängste, Schlaflosigkeit, Depression – dann braucht man ärztliche Hilfe. Für hörgeschädigte Arbeitnehmer gibt es mehr Stress-Faktoren: Angst vor Arbeitsplatzverlust, Anstrengung durch Kommunikation, langweilige Arbeit, Abwertung. Anerkennung für geleistete Arbeit ist für alle Arbeitnehmer wichtig und ein Schutz vor Burnout. In der anschließenden Diskussion wurden – wie so oft – noch viele interessante Aspekte diskutiert.
Wer Interesse hat, kann sich im Internet zu diesem Thema weiter informieren. In der Präsentation gibt es dazu wichtige Webtipps. Außerdem kann man die Tabellen noch einmal anschauen, die leider in den letzten Reihen der vollen Mensa kaum zu lesen waren.
Yoga für Hörgeschädigte
Referentin: Betty Schätzchen
(schwerhörig, Yogalehrerin und Heilpraktikerin, Berlin)
Betty Schätzchen begann ihren Vortrag mit einer Einführung in die verschiedenen Yoga-Techniken. Zum Glück mussten die Zuschauer nicht alle Praktiken ausführen, aber bei einigen einfachen Übungen konnten alle mitmachen. Betty demonstrierte dabei auch, wie sie mit hörgeschädigten Kursteilnehmern arbeitet. Das waren neue Erfahrungen – denn bisher fragten sich viele, wie man diese wohltuenden Entspannungsübungen ohne Hören ausführen kann. Allerdings braucht man dafür auch besonders vorbereitete Yogalehrer, die wissen, was eine Hörbehinderung bedeutet, die bestimmte Schritte einhalten und gut kommunizieren können. Ein Einsatz von Dolmetschern ist nicht sinnvoll.
In der anschließenden Diskussion antwortete sie sehr fachkompetent auf alle Fragen, auch über Anpassung der Übungen bei bestimmten Krankheiten wie Asthma oder bei einer Schwangerschaft. Die Fragesteller waren kaum zu bremsen und nach 21 Uhr musste Kamü leider die Veranstaltung beenden.
Betty begeisterte die ZuschauerInnen durch ihren ausdrucksstarken Vortrag in DGS und durch ihre offene und sympathische Art. Wenn sie im Ruhrgebiet praktizieren würde, hätte sie jetzt viele neue KursteilnehmerInnen gewonnen 🙂
Zur Person Betty Schätzchen mit Webadresse
Gehörlose Menschen in der Politik? Na klar!
Referent: Lutz Pepping (Lehramtsanwärter, Berlin)
Ein spannendes Thema, denn noch vor wenigen Jahrzehnten schien es undenkbar, dass gehörlose Menschen auch Parlamente erobern und in der Politik aktiv mitmischen. Helene Jarmer im österreichischen Nationalrat ist mittlerweile vielen bekannt. In Deutschland hat es Martin Zierold in die Bezirksvertretung von Berlin geschafft. Sein Sprungbrett war eine Gruppe junger Gehörloser, die sich in der GRÜNEN JUGEND engagieren, darunter auch Lutz Pepping.
Lutz, den wir schon zum zweiten Mal auf der Kofobühne begrüßen konnten, erklärte zu Beginn seines Vortrags die Bedeutung von Politik für uns alle und wies auf die große Chance hin, sich in einer Demokratie für die eigenen Interessen einsetzen zu können. Kommunikative und kulturelle Barrieren mögen dazu beitragen, dass gehörlose Menschen vor einer Zusammenarbeit mit Hörenden in der Politik zurückschrecken. Aber auch dafür nannte der Referent Lösungsmöglichkeiten. Eigene politische Erfahrungen und eine kurze Darstellung prominenter gehörloser Politiker rundeten den interessanten Vortrag ab.
Leider musste an diesem Abend das Kofo gegen die Fußball-EM konkurrieren. Deutschland gegen die Niederlande wurde um 20.45 Uhr angepfiffen. Philipp Wacker hatte Uhr und Ablauf immer im Blick und bestand souverän sein Debut als Moderator.
Hier kann sich jeder in Ruhe über den Referenten und das Thema informieren:
Zur Person Lutz Pepping mit Links zu Videos , Bericht Life InSight 1. workshop 2010 , Bericht Life Insight 2. workshop 2011 Bericht Life InSight Bundeskongress 2011 / Sprachenpolitik
Moderation:
Philipp Wacker
Gebärdensprachdolmetschen:
Magdalena Meisen, Sandra Wolfien (Skarabee)
Schriftdolmetschen:
Cornelia Krajewski, Sabine Schlüß
Fotos:
Frank Brüggemann
Technische Hilfen für Hörgeschädigte im Alltag und Beruf
Referent: Heinz Hepp
(Techn. Kommunikationsassistent des DSB)
Immer wieder stoßen Hörgeschädigte im Alltag und Beruf an ihre Grenzen, trotz Hörgeräte und Dolmetscher. Zusatztechnik kann helfen, die volle Teilnahme am gesellschaftlichen und beruflichem Leben zu ermöglichen.
Heinz Hepp referierte umfassend über Lichtsignalanlagen für Privatwohnung und Arbeitsplatz, über ergänzende Telefontechnik und natürlich Hörtechnik für Hörgeräte und CI. Wichtig ist die Information über mögliche Zusatztechnik vor dem Kauf eines Hörgerätes.
Leider waren nicht sehr viele Zuschauer und Zuhörer an diesem Abend gekommen. Wer konkrete Fragen hatte, konnte aber in der Pause und in der Diskussionsrunde gut informiert werden.
Wir Gehörlose und unsere Geschichte – auf der Suche nach unseren historischen Wurzeln
Referent: Dr. Chrissostomos Papaspyrou
(Linguist, Chemiker und Schulleiter, Athen)
Nach 7 Jahren konnten wir Chrissostomos Papaspyrou endlich wieder auf der Kofobühne begrüßen. Er brachte ein spannendes Thema mit, für das einige Besucher von weit her anreisten. Nach einer Vorstellung seiner Person begann der Streifzug durch die Geschichte gehörloser Menschen mit den antiken Philosophen Platon und Aristoteles, die unterschiedliche Sichtweisen auf gehörlose Menschen hatten. Interessant war, dass diese verschiedenen Ansichten bis in die Neuzeit wirkten. Die Ausbreitung der Gebärdensprachen, der Beginn schulischer Bildung und die Auswirkungen des Mailänder Kongresses bis hin zur Aufhebung dieser Beschlüsse durch den Kongress von Vancouver 2010 war ein weiterer Schwerpunkt seines Vortrages. Darüber hinaus stellte er dem Publikum wichtige Persönlichkeiten Gehörloser aus den Bereichen Kultur, Wissenschaft und Politik vor. Chrissostomos betonte, dass es sich hier nur um eine Auswahl handelt. Sie dienen als Beispiel für bisherige herausragende Leistungen. Durch die Anerkennung der Gebärdensprachen und der Kultur beginnt eine große Herausforderung, der sich alle mit Verantwortung und Würde stellen können.
Es war ein interessanter und – wie von Chrissostomos gewohnt – sehr lebendig präsentierter Vortrag, der auf großes Interesse stieß und zu engagierten Diskussionen führte.
Der Referent hat uns seinen Vortrag und für wissenschaftlich Interessierte auch die Quellenangaben zur Verfügung gestellt. Die Dateigröße ist hier stark reduziert, zum Nachlesen aber gut geeignet:
Vortrag Teil 1, Vortrag Teil 2, Quellenangaben
Wer mehr über den Referenten erfahren möchte: Hier ist eine kurze Darstellung seiner Biografie Zur Person
Musik erleben mit allen Sinnen
Referentin: Yvonne Weber-Kaltenbrunn
(Dipl.-Sportlehrerin, Musiktherapeutin am Implant Centrum Freiburg)
Musik – ist das nicht ein heikles Thema für Hörbehinderte? Viele schwerhörige und gehörlose Menschen, die Musik praktizieren, wissen es besser. Und so sind zu diesem Kofo auch einige Besucher gekommen, die selbst mit Spaß Musik machen.
Yvonne Weber hat aber auch alle anderen Zuschauer zum Mitmachen motiviert: Trommeln, Fingerklaviere, Klangschalen und Windspiele wurden ausprobiert.
Allen Ängstlichen hat sie Mut gemacht: Musik muss nicht perfekt klingen, sie kann „schräg“ sein, so hat die Referentin Musik während eines längeren Aufenthaltes in Westafrika erlebt. Gesang, Klang, Tanz und Rhythmus gehören dort zum Alltag.
In ihrem Vortrag berichtete die Referentin über ihre Arbeit als Musiktherapeutin am Implant Centrum Freiburg, das seit 2008 Musiktherapie im Rehabilitationskonzept anbietet. Yvonne Weber-Kaltenbrunn orientiert sich an der „leiborientierten“ Musiktherapie. Hier steht nicht das auditive Hören im Vordergrund, sondern das ganzkörperliche Erleben von Musik. Man erfährt neue Wahrnehmungs- und Ausdrucksmöglichkeiten, ganz ohne Anstrengung auf Sprache. Spaß und Entspannung unterstützen den therapeutischen Erfolg.
In der anschließenden Diskussion stellte sich auch der Chor „TonZeichen“ vor. Die schwerhörigen Chormitglieder waren fast vollzählig vertreten. Ein gehörloser Teilnehmer fragte, ob denn alle Bereiche des Musikerlebens auch von voll tauben Menschen erfahren werden können. Seine früheren Musik- und Tanzerfahrungen in Diskotheken hat er als gymnastische Anstrengung mit anschließendem Muskelkater in Erinnerung…
So war es eine unterhaltsame, aber vor allem auch interessante Veranstaltung mit vielen neuen Aspekten. Hier eine kurze Biografie der Referentin mit Kontaktadresse: Zur Person
Neue Kommunikationsangebote für Hörbehinderte: VerbaVoice und Videomail
Referenten: Marion Köppel (VerbaVoice), Knut Weinmeister (ZignoO)
Das Internet eröffnet immer mehr Kommunikationsmöglichkeiten für hörbehinderte Menschen. Zwei neue Angebote haben wir auf diesem Kofo vorgestellt – und waren erleichtert, dass der technische Ablauf wunderbar klappte:
Marion Köppel von VerbaVoice informierte über Deutschlands ersten mobilen Schriftdolmetschdienst. Über Notebook oder sogar Handy kann man mitlesen was gesprochen wird. Die Referentin demonstrierte eine Life-Mitschrift. Der Dolmetscher wird dabei über das Internet zugeschaltet und muss nicht persönlich anwesend sein. Auch die Transkription englischer Vorträge ist zurzeit schon möglich – ein großer Vorteil für den Einsatz im Studium. In Zukunft wird es mit VerbaSign auch Angebote für gebärdensprachorientierte Nutzer geben. www.verbavoice.de
ZignoO-Videomail ist eine Kommunikationsplattform, die vollständig auf die Bedürfnisse gebärdensprachlich kommunizierender Menschen abgestimmt ist. Ohne zusätzliche Software kann man durch Videomails überall auf der Welt miteinander in Kontakt treten, nur eine Webcam ist nötig. Der Referent Knut Weinmeister erklärte die Nutzung dieser Plattform, die mit Basis-Funktionen kostenlos angeboten wird. Die Verwaltung der Mails ist genauso einfach wie bei herkömmlichen Mailprogrammen. Der Datenschutz wird ebenso gewährt: Nur die Empfänger können das Video schauen. www.zignoo.com/
Während und nach dem Kofo gab es noch zahlreiche Nachfragen. Wir hoffen, dass unsere Besucher mit vielen neuen Anregungen nach Hause gefahren sind.