Jahrgang 2018
2018
Psychotherapeutische Angebote für hörbehinderte Menschen in Essen und Umgebung
Dr. Mona Abdel-Hamid (Psychologische Psychotherapeutin am LVR-Klinikum Essen),
Jennifer Söhn (Systemische Therapeutin am Alexianer Krankenhaus Krefeld)
Der große Andrang an diesem Kofoabend zeigte, wie wichtig dieses Thema für viele Menschen in Essen und Umgebung ist.
Als erste Referentin nannte Dr. Mona Abdel-Hamid Untersuchungsergebnisse, die darauf hindeuten, dass hörbehinderte Menschen häufiger von psychischen Störungen betroffen sind. Gleichzeitig haben sie aufgrund von Kommunikationsbarrieren größere Schwierigkeiten, therapeutische Hilfe zu bekommen. Es gibt aber auch schützende Faktoren: Menschen mit hohen Widerstandsressourcen können krankmachende Einflüsse besser bewältigen. Wichtig ist dabei auch das Vertrauen in die eigene Kraft und in die Umwelt. Wenn man nach vorne schaut und nach neuen Handlungsmöglichkeiten sucht, kann man sich gut anpassen und negative Erfahrungen verarbeiten.
Die Förderung von Ressourcen ist auch ein Schwerpunkt der therapeutischen Arbeit am Alexianer Krankenhaus in Krefeld. Jennifer Söhn arbeitet dort als systemische Therapeutin. Am Zentrum für Psychotraumatologie können gehörlose Rehabilitanden stationär oder teilstationär betreut werden. Frau Söhn und Frau von der Ruhen (Psychologin) sind beide gebärdensprachkompetent. Für Gespräche mit weiteren Therapeuten wird VerbaVoice (Online-Dolmetschdienst) beauftragt. Schwerpunkt ist die Bewältigung von Traumata. Ziele der Behandlung sind neben der Verbesserung im Umgang mit Ängsten, Schuldgefühlen etc. auch die Förderung der Teilhabe im Beruf und im familiären Bereich. Vor der Entlassung wird der Entlassbrief ausführlich mit den Rehabilitanden besprochen und die Nachsorge geplant.
In der anschließenden Diskussion wurde nach Bedeutung und Aufgabe der PITCH-Sprechstunde gefragt. Frau Abdel-Hamid erklärte, dass es sich um eine Spezialsprechstunde für hörbehinderte Menschen handelt, die jetzt auch am LVR-Klinikum in Essen eingerichtet wird. (PITCH = Spezialsprechstunde für PatientInnen mit Taubheit und anderer chronischer Hörminderung)
Mehrere Personen aus dem Publikum fragten nach einer psychotherapeutischen Behandlungsmöglichkeit für Kinder und Jugendliche in Essen und Umgebung. Leider gibt es für diesen Personenkreis hier noch keine Beratungs- und Behandlungsmöglichkeit. Die PITCH-Sprechstunde richtet sich nur an volljährige Personen, ebenso das Angebot des Krefelder Krankenhauses. Wer als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut arbeiten möchte, braucht eine Zusatzausbildung. Es wurde vorgeschlagen, unter den Studierenden Werbung für die Arbeit mit hörbehinderten Kindern und Jugendlichen zu machen.
Kontakt: j.soehn@alexianer.de; mona.abdel-hamid@lvr.de
Moderation:
Michael Mees
Gebärdensprachdolmetschen:
Bastienne Blatz, Sabrina Zelder (Skarabee)
Schriftdolmetschen:
Mario Kaul, Ulrike Kretzer
Fotos:
Ingo Langner
Rechtsextreme Gruppen in NRW
Nina Bramkamp, Marat Trusov
(Mobile Beratungsstelle gegen Rechtsextremismus im Regierungsbezirk Düsseldorf c/o Wuppertaler Initiative für Demokratie und Toleranz)
Seit 2008 gibt es in NRW mobile Beratungsstellen gegen Rechtsextremismus. Für den Regierungsbezirk Düsseldorf ist es die Wuppertaler Inititative für Demokratie und Toleranz. Die mobilen Beratungsstellen informieren über rechtsextreme Gruppen und Parteien, beraten Betroffene und vermitteln Hilfen.
Wir wollten wissen, welche rechtsextreme Gruppen und Parteien in NRW aktiv sind. Marat Trusov erklärte ausführlich die Ziele und Aktionen von Gruppen (z.B. Identitäre Bewegung, Pegida, Hooligan-Gruppen wie die HoGeSa – Hooligans gegen Salafisten) und von Parteien (z.B. AfD, die Rechte, Bürgerbewegung Pro Deutschland, der III.Weg). Aus verbotenen Gruppen wie der DVU sind neue Gruppen und Parteien wie Die Rechte entstanden.
Sie schüren Ängste (vor Flüchtlingen, vor „Überfremdung“), setzen Feindbilder (z.B. Muslime, aber auch Juden), sehen sich als Opfer von Verschwörungen, der Medien oder der Regierung. Marat Trusov zeigte Plakate von rechtsextremen Parteien, die ihre Menschenverachtung deutlich machen.
Nicht alle Gruppen sind offen rechtsextrem. Die Identitäre Bewegung gibt sich modern. Alle Völker sollen ihre Kultur leben (“Ethnopluralismus”) – aber bitte dort, wo sie ursprünglich herkommen. Wie die Kulturen-Trennung in einem Einwanderungskontinent wie Europa passieren soll, sagen sie nicht.
Nina Bramkamp stellte die Arbeit der Mobilen Beratungsstellen gegen Rechtsextremismus vor. In allen 5 NRW-Regierungsbezirken gibt es eine Beratungsstelle. Die Beratung ist für alle: Einzelpersonen, Jugendgruppen, Vereine, Glaubensgemeinschaften, Schulen, Gewerkschaften, Migranten-Selbsthilfegruppen.
- Sie helfen in konkreten Fällen und geben Unterstützung für eine dauerhafte Arbeit.
- Sie sind Teil eines Netzwerks und können Betroffene an eine Opferberatung, Ausstiegsberatung, ein Antidiskriminierungsbüro o.a. vermitteln.
- Sie erstellen Broschüren, die man über die Website kostenlos erhalten kann.
In der Diskussion berichteten mehrere Mitglieder einer Migrantengruppe über ihre Erfahrungen hier in Deutschland. Eine Zusammenarbeit zwischen der Beratungsstelle und der Selbsthilfegruppe ist wünschenswert. Unsere Referenten gaben u.a. auch Tipps, wie man sich gegenüber Rechtsextremen verhalten kann. Es war ein wichtiger und sehr informativer Abend, für den wir uns bei allen Beteiligten – Referenten und Diskussionsteilnehmern – bedanken.
Website der Beratungsstelle im RP Düsseldorf:
Moderation:
Katrin Müller
Gebärdensprachdolmetschen:
Magdalena Meisen, Lisa Fürstenberg (Skarabee)
Schriftdolmetschen:
Mario Kaul, Stefan Lange
Fotos:
Ingo Langner
Die AfD – eine kritische Betrachtung
Iris Meinhardt (Politologin, München)
Iris Meinhardt ist Politikwissenschaftlerin, ihr Studium in München hat sie vor Kurzem beendet. Sie hat sich dabei auch intensiv mit der Partei AfD (Alternative für Deutschland) beschäftigt, die seit 2017 auch im Bundestag vertreten ist.
In ihrem Kofo-Vortrag erklärte sie zunächst die Bedeutung von Parteien für unser politisches System.
Parteien sind wichtig für das Funktionieren von Demokratie, weil sie Interessen bündeln und Lösungsvorschläge machen. Jeder kann eine Partei gründen, wenn man das Grundgesetz beachtet.
Die AfD wird auch als „rechtspopulistisch“ und „rechtsextrem“ bezeichnet. Die Partei selbst lehnt diese Zuschreibung ab. Es gibt aber wissenschaftliche Beschreibungen, z.B. für Populismus:
Populistisch sind Parteien, wenn sie
- einfache Erklärungen für komplizierte Probleme bieten
- Feindbilder setzen (das „hart arbeitende Volk“ gegen „die da Oben“ oder gegen Migranten)
- Minderheiten die Schuld an allem Möglichen geben
- Angst und Hass provozieren.
Rechtsextrem sind Personen oder Gruppen, die das Grundgesetz ablehnen, auch zu Gewalt bereit sind, antisemitisch und rassistisch denken und handeln.
Ausführlich beschrieb die Referentin Entstehung, Entwicklung und Inhalte der AfD, hier nur in Kürze:
Die AfD wurde 2013 durch den Wirtschaftsprofessor Bernd Lucke als „Alternative“ zum Eurorettungskurs der EU gegründet. Als 2014 die Pegida-Bewegung entstand, verschoben sich auch in der AfD die Mehrheitsverhältnisse. Das Thema „Islam“ rückte in den Mittelpunkt und der rechtsradikale Björn Höcke verbündete sich mit Frauke Petry. Bernd Lucke verließ 2015 mit einem wirtschaftsliberalen Flügel die Partei und gründete eine neue Partei (Allianz für Fortschritt und Aufbruch – ALFA). Nach der Bundestagswahl 2017 verließ auch Frauke Petry die Partei. Mit 12,6% der Stimmen wurde die AfD die drittstärkste Kraft im Bundestag.
Die Wähleranalyse zeigt: Mehr Männer als Frauen, mehr Ostdeutsche als Westdeutsche, vor allem Menschen mit Mittlerer Reife, vor allem Menschen zwischen 30 und 59 und frühere Nichtwähler haben die AfD gewählt. Nach Meinung der Forschungsgruppe Wahlen haben die meisten Wähler die AfD aus Protest gegen die Regierungspolitik gewählt, die Flüchtlingspolitik war der große Aufreger.
Anschließend ging es um die politischen Inhalte: Was sagt die AfD zu den Themen Medien, Asyl und Islam, Europäische Union, Familienpolitik und Behinderung?
Als Beispiel für die Haltung der AfD zu behinderten Menschen nannte Iris Meinhardt die Kleine Anfrage der AfD im März 2018 im Bundestag: Die AfD wollte von der Bundesregierung wissen, wie sich die Zahl der Behinderten in Deutschland seit 2012 entwickelt hat, besonders „durch Heirat innerhalb der Familie“ – und wie viele dieser Fälle einen Migrationshintergrund hätten. Diese Verknüpfung von Behinderung mit Inzest und Zuwanderung löste breite Empörung aus. Die AfD ist auch gegen Inklusion und für besondere Beschulung behinderter Menschen. Angeblich wegen der besseren Förderung dort, aber im Grunde handelt es sich um Aussonderung, denn „Teilhabe“ an der Gesellschaft ist nicht vorgesehen.
In der anschließenden Diskussion gab die Referentin Empfehlungen zur politischen Information: Bundeszentrale für politische Bildung: www.bpb.de; Jugendmagazin der Bundeszentrale: fluter http://www.bpb.de/shop/zeitschriften/fluter/
Der Vortrag war sehr fundiert, kritisch und informativ. Wir hätten uns für dieses wichtige Thema aber mehr Zuschauer gewünscht.
Anmerkung: In diesem Video wird der Begriff „Populismus“ anschaulich erklärt.
Moderation:
Ralf Kirchhoff
Gebärdensprachdolmetschen:
Magdalena Meisen, Sandra Wolfien (Skarabee)
Schriftdolmetschen:
Ulrike Kretzer, Stefan Lange
Fotos:
Ingo Langner
Ein Jahr in Mexiko!
Linda Hemmetzberger
Linda berichtete vor ca. 50 interessierten ZuschauerInnen über ihren Aufenthalt in Mexiko 2015/16. Sie nahm teil an dem entwicklungspolitischen Freiwilligendienst “weltwärts”, ihre Entsendeorganisation war bezev (Behinderung und Entwicklungszusammenarbeit e.V.). Bereits mehrere hörbehinderte junge Menschen haben in Ländern Afrikas und Lateinamerikas wertvolle Erfahrungen gesammelt und darüber auch auf dem Kofo berichtet.
Linda erklärte zunächst den Begriff der “Permakultur”, ein Denkprinzip, für das sie sich sehr interessiert und ihre Entscheidung für Mexiko beeinflusst hat. Nachhaltige Entwicklung im Einklang mit den Ökosystemen der Natur ist der Biologiestudentin wichtig.
Ihr Einsatzort in Mexiko war ein Rehazentrum für hörbehinderte Kinder in Oaxaca im Süden des Landes. Dort arbeitete sie im Kindergarten. Sie hatte aber auch Gelegenheit, die unterschiedlichen Kulturen in Mexiko kennen zu lernen, Städte und Sehenswürdigkeiten zu besuchen und viel über die Situation hörgeschädigter Menschen zu erfahren. Gehörlose in den Dörfern werden dort immer noch von ihren Familien versteckt, es gibt wenig Treffmöglichkeiten – Fahrtkosten und die häufige Arbeit am Wochenende in der Landwirtschaft erschweren die Kontakte. Jetzt gibt es zwar eine erste Klasse mit gehörlosen Abiturienten, aber die Studienmöglichkeiten im Land sind schwierig. Einige wenige Gehörlose haben in den USA studiert und sind dann zurück gekommen, um die Lebenssituation gehörloser Menschen in Mexiko zu verbessern.
Im Anschluss an den sehr interessanten Vortrag gab es viele Fragen, die die Referentin kompetent beantwortete. Zum Schluss bat sie mit einem Videofilm um Spenden für eine gehörlose junge Frau, die über das Welthaus Bielefeld zurzeit in Oaxaca ist. 25% der Kosten müssen Teilnehmer über Spenden hereinholen. Die Spendenkasse des Kofoabends ging an diese Teilnehmerin.
Moderation:
Katrin Müller
Gebärdensprachdolmetschen:
Magdalena Meisen, Bastienne Blatz (Skarabee)
Schriftdolmetschen:
Cornelia Krajewski, Mario Kaul
Fotos:
Ingo Langner
Leben mit Taubblindheit und Taubblindenassistenz
Claudia Preißner, Kornelia Szypula, Wolfgang Biermanski
Zu diesem Kofo konnten wir mehrere taubblinde Gäste mit ihren Assistenten begrüßen. Auch zahlreiche Jugendliche waren erschienen, um sich über dieses Thema zu informieren.
Den ersten Teil des Vortrags übernahmen Claudia Preißner und Kornelia Szypula. Sie berichteten, dass in NRW ca. 1900 taubblinde Personen oder Personen mit starker Hörsehbehinderung wohnen, ihnen stehen bisher 95 Taubblinden-Assistenten zur Verfügung. Die meisten von ihnen üben diese Tätigkeit nebenberuflich aus, sodass sie nur mit geringer Stundenzahl eingesetzt werden können. Es besteht also ein großer Bedarf. Viele Taubblinde leben ohne Taubblindenassistenz in großer Isolation und kennen ihre Rechte nicht.
Die Referentinnen erklärten Ursachen, Formen und Folgen von Taubblindheit. Bei erworbener Taubblindheit unterscheidet man zwischen gebärdensprachlich und lautsprachlich aufgewachsenen Taubblinden. Taubblinde unterscheiden sich also stark in ihren kommunikativen Bedürfnissen. Deshalb ist die Ausbildung zum/zur TaubblindenassistentIn anspruchsvoll: Unterrichtet werden Kenntnisse in DGS, taktilen Gebärden, Lormen, Brailleschrift, Mobilität sowie medizinisches, rechtliches und psychologisches Hintergrundwissen. Dies wird an 10 Wochenenden, einer Blockwoche Unterricht, wöchentlichem DGS-Unterricht und Praktika vermittelt.
Anschließend berichtete Wolfgang Biermanski sehr anschaulich über sein Leben als Taubblinder. Er ist von Geburt an blind und verlor als Jugendlicher 90% seines Gehörs. Dadurch litt er sehr unter Kontaktarmut. Seine Lebenskrise überwand er mit Hilfe einer Psychotherapeutin. Er erhielt den Hinweis auf eine Selbsthilfegruppe, die für ihn in dieser Situation sehr wertvoll war. Er wollte nicht als „Besenbinder“ enden, sondern engagierte sich in der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben (ISL), in der SPD, nahm an Radtouren teil, war aktiv dabei beim Kanalfest am Rhein-Herne-Kanal 2017 und beim Selbsthilfetag in Herne, war beteiligt an der Überprüfung des Landtags NRW auf Barrierefreiheit und sprach mit Politikern wie Martin Schulz und Andrea Nahles. Damit sind nur einige seiner Aktivitäten genannt. Die Beteiligung in einer Selbsthilfegruppe und die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben durch Assistenten sind Tipps, die er allen Betroffenen geben möchte.
In der Pause konnten die Besucher Hörsehbehinderung und Taubblindheit mit speziellen Brillen und Gehörschutz simulieren.
Informationen über Taubblindheit: Flyer Taubblindheit Informationen zur TBA-Qualifizierung:Info TBA-Qualifizierung
Weitere Fragen werden gerne beantwortet: info@taubblindenassistenz.de
Moderation:
Katrin Müller
Gebärdensprachdolmetschen:
Magdalena Meisen, Bastienne Blatz (Skarabee)
Schriftdolmetschen:
Cornelia Krajewski, Mario Kaul
Fotos:
Ingo Langner
TBA-Assistenz:
Falk Rollmann