Jahrgang 2014
2014
Dauerstress macht krank – Entspannung und Selbstwahrnehmung bei jungen Hörgeschädigten
Betty Schätzchen
(Yogalehrerin und Heilpraktikerin, Berlin)
Kurzzeitige Stressreaktionen können lebenswichtig sein, Dauerstress macht krank. 5 Minuten Stress schwächen die Immunabwehr bis zu 6 Stunden! Die selbst schwerhörige Referentin erläuterte in einem kurzen aber eindringlichen Vortrag die Auswirkungen von Dauerstress, dem insbesondere hörgeschädigte Menschen ausgesetzt sind. Tinnitus, Schwindel, Hörsturz, Erschöpfung, Kopfschmerzen und Bluthochdruck sind nur einige der Folgen. Wichtig ist, dass jugendliche Hörgeschädigte lernen, diese Signale des Körpers zu erkennen und gegen zu steuern: Eigene Ziele formulieren, Nein sagen, sich selbst Wertschätzung und Achtsamkeit geben, einfache Grundregeln für ein gesundes Leben beachten. Auch körperliche Berührung kann Stress mindern.
Nach einer engagiert geführten Diskussion lud die Referentin noch zu Mitmach-Übungen ein. Die Teilnehmer führten mit viel Spaß Gruppenspiele durch, die Betty auch in Workshops mit hörgeschädigten Jugendlichen praktiziert.
Moderation:
Katrin Müller
Gebärdensprachdolmetschen:
Magdalena Meisen, Bastienne Blatz (Skarabee)
Schriftdolmetschen:
Cornelia Krajewski, Mario Kaul
Fotos:
Ingo Langner
Gehörlose Eltern – gehörlose/hörende Kinder. Alles prima?
Gabriele Pfeiffer (systemische Beraterin)
Saskia Bonner (LIFE Jugendhilfe GmbH Bochum)
Dieses Kofo war ein Höhepunkt im Veranstaltungsjahr. Wir konnten neue Gesichter im Publikum begrüßen, darunter auch Familien mit Kindern. Die Referentinnen verfügen über mehrjährige Erfahrung in der Familienarbeit und zeigten in ihrem Vortrag, dass eine gute Zusammenarbeit zwischen gehörloser Beraterin und hörender Mitarbeiterin einer Trägergesellschaft möglich und sehr wichtig ist.
In Familien mit Gehörlosenkultur und hörenden Familienmitgliedern können besondere Konflikte entstehen, über die man sich oft nicht bewusst ist. Z.B. können hörende Großeltern mehr Erziehungsverantwortung für die hörenden Enkelkinder übernehmen und dabei die gehörlosen Eltern übergehen. Wenn Eltern unsicher sind, hat das auch Folgen für die Kinder: Sie haben keinen Halt, fühlen sich allein gelassen und nutzen irgendwann die Schwächen der Eltern aus. Eltern und Großeltern müssen sich mit ihrer Rolle auseinandersetzen und zu einem respektvollen Umgang finden. Erst dann hat die nächste Generation eine Chance! Dabei helfen Familienberater. Eltern müssen auch lernen, die Kommunikation in der Familie zu ändern. Gebärdensprache allein reicht nicht. Die wichtigsten Regeln haben die Referentinnen hier verständlich zusammengefasst: Gute Kommunikation.
Zum Schluss ihres Vortrags gaben sie den Zuschauern einen Gedankenanstoß von Virginia Satir (eine bekannte Familientherapeutin) mit auf den Weg: Jedes Familienmitglied muss die Möglichkeit bekommen, sich selbst auszudrücken. Wenn es das nicht kann, fühlt es sich allein gelassen, verliert die Selbstachtung und es kommt zu Störungen in der Familie.
In der anschließenden Diskussion wurden viele Aspekte vertieft. Eine Besucherin erklärte, dass Gehörlose oft Angst hätten, zum Jugendamt zu gehen. Sie befürchten, das Sorgerecht für ihre Kinder entzogen zu bekommen. Hier konnten die Referentinnen aufklären: Nein, diese Angst ist unberechtigt. Das Kindeswohl steht an erster Stelle. Die gehörlosen Eltern haben beim Gespräch im Jugendamt das Recht auf einen Gebärdensprachdolmetscher ihrer Wahl. Auch die Situation in Familien mit Migrationshintergrund war Thema in der Diskussion. Hier sind die kulturellen Unterschiede noch vielschichtiger und es ist besonders wichtig, dass sich die Eltern über die eigenen Erziehungsziele bewusst werden und austauschen. Wünschenswert bei unterschiedlichen Sprachen und Kulturen ist eine gemeinsame Sprache innerhalb der Familie, die auch den emotionalen Austausch ermöglicht. Das ist in Familien mit gehörlosen Mitgliedern meistens die Gebärdensprache.
Hier sind die Kontaktadressen der Referentinnen.
Moderation:
Ralf Kirchhoff
Gebärdensprachdolmetschen:
Bastienne Blatz, Sandra Wolfien (Skarabee)
Schriftdolmetschen:
Cornelia Krajewski, Ulrike Kretzer
Fotos:
Frank Brüggemann
Mein Leben mit CI – Segen oder Fluch?
Elena Lehrmann (KoFit e.V., Berlin)
Wir haben uns sehr gefreut, dass Elena kurzfristig bereit war, diesen Kofotermin zu übernehmen. Sie berichtete in ihrem Vortrag über ihre persönlichen Erfahrungen, über die jetzige gesellschaftliche Situation und über Wege, diese zu ändern. CI-Träger sind einem großen Erwartungsdruck ausgesetzt. Das führt oft dazu, dass sie als Jugendliche ihr CI ablegen. Wichtig ist aber, dass man keine “entweder – oder”, sondern eine “sowohl – als auch”-Entscheidung trifft. Gebärdensprache muss in Elternberatung und Frühförderung eine größere Rolle spielen, weil sie stressfreie und sichere Kommunikation ermöglicht. In bestimmten Situationen kann die Nutzung eines Gebärdensprachdolmetschers wichtig sein. Aber auch die Gebärdensprachgemeinschaft muss CI-Träger vorurteilsfrei aufnehmen. Ci-Träger haben sehr unterschiedliche Kommunikationsbedürfnisse. Jede individuelle Entscheidung muss man respektieren. Für Elena selbst bedeutet das Leben in zwei Sprachen und zwei Kulturen eine Bereicherung.
In der anschließenden Diskussion zeigte sich, dass die Besucher froh waren, nicht nur einseitige Informationen zu bekommen. Der Informationsbedarf war groß. Es gab Diskussionsteilnehmer, die sich Entscheidungshilfen für oder gegen eine CI-Operation erhofften. Auch gesellschaftliche Änderungen wurden gefordert. In Vereinen ist z.B. immer noch die Einteilung in gehörlos, schwerhörig, CI-Träger üblich, das erschwert eine “sowohl – als auch”- Entscheidung. Mehrere Teilnehmer betonten, dass eine neutrale Beratung der Eltern sehr wichtig ist.
Moderation:
Philipp Wacker
Gebärdensprachdolmetschen:
Mäggie Meisen, Bastienne Blatz (Skarabee)
Schriftdolmetschen:
Cornelia Krajewski, Ulrike Kretzer
Fotos:
Ingo Langner
Raus aus der Isolation – Taubblindheit in Deutschland
Melanie Drewke und Sebastian Wegerhoff
Melanie Drewke und Sebastian Wegerhoff sind beide hörsehbehindert und in Landesverbänden aktiv. Sie erklärten die Formen, Ursachen und vor allem die Folgen dieser doppelten Behinderung. Man schätzt, dass in Deutschland ca. 6.000 – 10.000 Menschen mit dieser Behinderung leben. Zu den schwerwiegendsten Folgen zählt die soziale Isolation, die durch eingeschränkte Kommunikation, Mobilität und Information verursacht wird. Allerdings werden taubblinde Menschen in Deutschland jetzt politisch aktiver: Aufmerksamkeit erregte die Demonstration taubblinder Menschen in Berlin im vergangenen Jahr. Weitere Aktionen sind geplant.
Die Referenten berichteten auch über das Taubblindencamp in Seabeck/USA, das vorbildlich organisiert wird. Der Vortrag endete mit einem Aufruf an die Gehörlosengemeinschaft: “Gemeinsam sind wir stärker!” Leider – so stellte eine Diskussionsteilnehmerin fest – wurde dieses Kofo überwiegend von hörsehbehinderten und taubblinden Menschen besucht, gehörlose Besucher waren in der Minderheit.
Moderation:
Katrin Müller
Gebärdensprachdolmetschen:
Mäggie Meisen, Sandra Wolfien (Skarabee)
Schriftdolmetschen:
Cornelia Krajewski, Mario Kaul
Fotos:
Robert Lamprecht
Sucht ist überall
Jenny Igersky (Verein KoFit)
Suchtgefahren lauern überall. Nicht nur bekannte Drogen wie Nikotin, Alkohol oder Heroin (Suchtmittel), auch Spiele, Medien und sogar die tägliche Arbeit (Suchttätigkeiten) können süchtig machen. Die Referentin erklärte die Wirkung von Drogen und die Entstehung von Sucht. Sie beschrieb auch die Co-Abhängigkeit von Angehörigen, die viel zu wenig beachtet wird. Auch die Familie ist oft Teil des Suchtsystems und muss behandelt werden.
Ein weiterer Schwerpunkt war der Ausstieg aus der Sucht. Dabei wurde deutlich, dass es viel zu wenig barrierefreie Angebote für hörbehinderte Menschen gibt. Es fehlt insbesondere an wohnortnahen ambulanten Hilfen – auch Selbsthilfegruppen.
Der Vortrag wirkte souverän und überzeugend – als ehemals Selbstbetroffene konnte Jenny aus eigener Erfahrung authentisch berichten. So war auch die Diskussion sehr offen und rege.
Moderation:
Philipp Wacker
Gebärdensprachdolmetschen:
Mäggie Meisen, Sandra Wolfien (Skarabee)
Schriftdolmetschen:
Cornelia Krajewski, Mario Kaul
Fotos:
Ingo Langner
Reise durch Südamerika
Benedikt J. Feldmann
Benedikt Feldmann (bengie) konnte sich auf der Essener Kofobühne wie „zu Hause“ fühlen: Zu seiner Schulzeit am RWB war er Mitglied im Kofoteam und referierte jetzt schon zum dritten Mal als Gast. Sein Vortrag 2010 über eine Indienreise war vielen noch in guter Erinnerung.
Von Januar bis März 2013 unternahm er eine Rundreise durch Südamerika und lernte Brasilien, Chile, Argentinien und Uruguay kennen. Über Land und Leute berichtete er auf diesem Kofo. Abenteuerliche und liebenswerte Begegnungen standen im Vordergrund. Die Zuschauer bekamen einen guten Einblick in unterschiedliche Kulturen, die aber immer auch europäisch geprägt waren. Befremdlich war die Begegnung mit einer Frau, die offen ihre Sympathie für Nazis äußerte. Insgesamt bot das Kofo eine gute Gelegenheit, sich auf eine Südamerika-Reise vorzubereiten…
Wer mehr über den Referenten lesen möchte: Zur Person
Moderation:
Philipp Wacker
Gebärdensprachdolmetschen:
Mäggie Meisen, Bastienne Blatz (Skarabee)
Schriftdolmetschen:
Cornelia Krajewski, Mario Kaul
Fotos:
Frank Brüggemann
Taube Nuss – Nichtgehörtes aus dem Leben eines Schwerhörigen
Lesung und Diskussion mit Alexander Görsdorf
Veronika Albers stellte zunächst unseren Gast vor. Konzentrierte Ruhe herrschte danach in der voll besetzten Mensa, als Alexander Görsdorf mit der Lesung begann. Er setzte ein Zitat von Karl Valentin vorweg: „Jedes Ding hat drei Seiten: eine gute, eine schlechte und eine komische.“
Über die komische Seite der Schwerhörigkeit schreiben, Abstand gewinnen und darüber lachen können und – anders als Beethoven – das gute Leben bei schlechtem Ton finden – das war seine Motivation zur Veröffentlichung des Buches.
Der Autor las Texte aus ganz unterschiedlichen Lebensbereichen: Über die Schwierigkeit, in den USA ein Sandwich zu bestellen, über folgenreiche Missverständnisse mit der Liebsten, über Kommunikationstaktik, die man besser nicht anwendet, wenn der Chef dabei ist, über merkwürdige Sinneserfahrungen durch das elektrische Ohr. Zum Schluss las er noch eine Zugabe, die es nicht mehr ins Buch geschafft hatte: Wie man einen Busfahrer in Schwierigkeiten bringt, wenn man ihn nötigt, etwas Verbotenes laut zu sagen.
Viele nutzten in der Pause die Gelegenheit, sein Buch zu kaufen, signieren zu lassen und ein kurzes Schwätzchen zu halten. Offensichtlich gibt es schon eine größere Fangemeinde 🙂
Nach kurzer Zeit war der Vorrat ausverkauft. Wir hatten nicht mit so viel Nachfrage gerechnet.
Die Diskussion verlief engagiert. Viele Betroffene meldeten sich mit eigenen Erfahrungen zu Wort.
Wer mehr lesen möchte – Hier ist sein Blog: www.notquitelikebeethoven.com
Und hier eine kurze Vorstellung des Autors: Zur Person
Moderation:
Veronika Albers
Gebärdensprachdolmetschen:
Mäggie Meisen, Sandra Wolfien (Skarabee)
Schriftdolmetschen:
Cornelia Krajewski, Mario Kaul
Fotos:
Ingo Langner, Frank Brüggemann