Zur aktuellen politischen Situation der Hörgeschädigten
Referent: Dr. Ulrich Hase
(Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft zur Förderung der Gehörlosen und Schwerhörigen)
Gute Informationen zur rechtlichen Situation - mit Diskussionsforum:
http://www.deutsche-gesellschaft.de/
„Totgesagte leben länger!“ – Dieser Spruch hat sich für das Kommunikationsforum Essen nicht zum ersten Mal bewahrheitet. Bevor nach einer neun Monate langen Pause am 12. September quasi die Wiedergeburt des Kofos stattfinden konnte, hatte schon manch böse Zunge behauptet, das Kofo-Sterben in Deutschland hätte nun auch vor Essen nicht halt gemacht. Weit gefehlt – manchmal braucht man einfach eine kreative Pause, um neue Ideen zu entwickeln und Altbewährtes noch attraktiver zu machen. Und manchmal fehlt einfach das Geld zum Weitermachen. In Essen kamen beide Punkte zusammen und machten eine Pause unumgänglich. Daß es für den Totengräber aber noch lange keine Arbeit gibt, zeigte sich bei der Wiedereröffnung, für die das Kofo-Team sich gleich ein besonderes Leckerli hatte einfallen lassen.
Als Referent geladen war Dr. Ulrich Hase, den meisten Gehörlosen bestens bekannt als langjähriger Präsident des Deutschen Gehörlosen-Bundes und heutiger Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft zur Förderung der Gehörlosen, Schwerhörigen, Ertaubten und Taubblinden. In beiden Funktionen hat er sich von Anfang an für die Entwicklung des am 1. Juli 2001 in Kraft getretenen Sozialgesetzbuches IX eingesetzt und mit dafür gesorgt, daß auf die Bedürfnisse hörbehinderter Menschen weitestgehend eingegangen und ihre Rechte gesetzlich verankert wurden. Was lag also näher, als mit diesem brandaktuellen Thema das Kofo neu starten zu lassen?
Über 150 Besucher waren erschienen, um sich aus erster Hand über ihre neuen Rechte informieren zu lassen, Fragen zu stellen und leider auch Unzulänglichkeiten des neuen Gesetzes zu kritisieren. Um Benachteiligungen innerhalb der Hörbehindertenwelt zu reduzieren, hatten die Kofo-Macher nicht nur für die schon immer üblichen Gebärdensprachdolmetscher gesorgt, sondern erstmalig auch für eine Schreibdolmetscherin, um auch schwerhörigen und ertaubten Besuchern ohne oder mit wenig DGS-Kenntnissen die Teilnahme zu ermöglichen. Diese Neuerung kam so gut an, daß in Zukunft auf allen Essener Kofo-Veranstaltungen Schreibdolmetscher anwesend sein werden.
Im Rahmen der Arbeitsassistenz haben hörbehinderte Menschen nun Anspruch auf Dolmetschleistungen am Arbeitsplatz. Die Kosten für den Dolmetscher werden von den Integrationsämtern (frühere Hauptfürsorgestellen) aus den Mitteln der Ausgleichsabgabe bezahlt. Auch Selbständige oder Arbeitslose auf der Suche nach einem Arbeitsplatz haben Anspruch auf Dolmetschleistungen, beispielsweise bei Bewerbungsgesprächen. Monatlich werden pro Person höchstens 2000,- DM für Dolmetscherdienste zur Verfügung gestellt. Auch Bildtelefon-Dolmetschdienstleistungen von TeleSign werden als Arbeitsassistenz anerkannt und mit monatlich 600,- DM übernommen.
Eine weitere und sehr erfreuliche Neuerung ist, daß die Krankenkassen durch das SGB IX nunmehr verpflichtet sind, die Kosten für Gebärdensprachdolmetscher bei Arztbesuchen zu übernehmen. Dies beinhaltet Beratungsgespräche, Behandlungen, Kuren und das gesamte medizinische Spektrum. Die Krankenkassen können sich nun nicht mehr mit dem Argument herausreden, ein Dolmetscher gehöre nicht zu ihrem Hilfsmittelkatalog. Bedauerlicherweise gilt diese Neuregelung jedoch ausdrücklich nur für Gebärdensprachdolmetscher. Ertaubte und Taubblinde mit ihren speziellen Kommunikationsbedürfnissen sind von dieser Regelung leider unbeachtet geblieben. Es bleibt abzuwarten, ob die Krankenkassen auch bei der Finanzierung von Schreib- oder Lormendolmetschern mitspielen werden.
Kosten für Dolmetscheinsätze bei Verhandlungen vor dem Arbeitsgericht können ab jetzt auch dann nicht mehr auf den Hörbehinderten abgewälzt werden, wenn dieser den Prozeß verliert. Leider gilt diese Regelung bisher nur für Arbeitsgerichte – es bleibt zu hoffen, daß bei Inkrafttreten der Gleichstellungs- und Antidiskriminierungsgesetze auch die Kosten für Dolmetscheinsätze vor anderen Gerichten automatisch durch die Landeskasse getragen werden.
Das SGB IX bezieht sich nur auf den sozialen Bereich und konnte daher keine Kostenübernahmeverpflichtung für andere Bereiche festschreiben.
Im Rahmen des Berufsbildungsgesetzes haben Hörbehinderte nun ebenfalls Anspruch auf die Hinzuziehung von Gebärdensprachdolmetschern bei mündlichen Prüfungen. Bedauerlicherweise gilt diese Regelung nur für den Bereich des Berufsbildungsgesetzes, d.h. hörbehinderte Studenten haben nach wie vor keinen Rechtsanspruch auf die Hinzuziehung von Dolmetschern und die Kostenübernahme durch die Integrationsämter. Zwar übernahmen in der Vergangenheit schon einige Hauptfürsorgestellen die Kosten für Gebärdensprachdolmetscher in Vorlesungen, Seminaren und bei Prüfungen, jedoch stand die Gewährung oder Verweigerung dieser Leistung stets im Ermessen der jeweiligen Hauptfürsorgestelle. Daran hat sich durch das SGB IX leider noch nichts geändert.
Ebenfalls neu ist das Merkzeichen Gl im Schwerbehindertenausweis. Dieses Merkzeichen hilft, die Notwendigkeit zum Einsatz von Gebärdensprachdolmetschern ohne Wenn und Aber nachzuweisen und dadurch leichter in den Genuß von berechtigten Ansprüchen zu kommen. Es ist nicht unbedingt nötig, um Dolmetschdienste zu nutzen oder Dolmetscher von den Reha-Trägern finanzieren lassen zu können, aber es kann helfen, langes Hin und Her zu vermeiden.
Insgesamt gesehen hat das SGB IX die Situation hörbehinderter Menschen tatsächlich verbessert, einige langjährige Forderungen z.B. des Deutschen Gehörlosen-Bundes wurden endlich erfüllt. Dennoch bleiben Lücken. So werden Leistungen zur Arbeitsassistenz nur dann gewährt, wenn die Integrationsämter genügend Geld in der Kasse haben. Hier besteht zumindest die theoretische Möglichkeit, daß sich die zukünftigen Kostenträger ein Hintertürchen offen halten, um sich vor aus ihrer Sicht zu hohen Ausgaben zu drücken. Doch wir wollen ja nicht allzu pessimistisch sein…
Ebenfalls neu ist das Merkzeichen Gl im Schwerbehindertenausweis. Dieses Merkzeichen hilft, die Notwendigkeit zum Einsatz von Gebärdensprachdolmetschern ohne Wenn und Aber nachzuweisen und dadurch leichter in den Genuß von berechtigten Ansprüchen zu kommen. Es ist nicht unbedingt nötig, um Dolmetschdienste zu nutzen oder Dolmetscher von den Reha-Trägern finanzieren lassen zu können, aber es kann helfen, langes Hin und Her zu vermeiden.
Insgesamt gesehen hat das SGB IX die Situation hörbehinderter Menschen tatsächlich verbessert, einige langjährige Forderungen z.B. des Deutschen Gehörlosen-Bundes wurden endlich erfüllt. Dennoch bleiben Lücken. So werden Leistungen zur Arbeitsassistenz nur dann gewährt, wenn die Integrationsämter genügend Geld in der Kasse haben. Hier besteht zumindest die theoretische Möglichkeit, daß sich die zukünftigen Kostenträger ein Hintertürchen offen halten, um sich vor aus ihrer Sicht zu hohen Ausgaben zu drücken. Doch wir wollen ja nicht allzu pessimistisch sein…
Es bleibt abzuwarten, ob das Gleichstellungs- und Antidiskriminierungsgesetz jeweils in der Lage sein werden, die noch vorhandenen Löcher in der Gesetzgebung zugunsten hörbehinderter Menschen zu stopfen. Der Deutsche Gehörlosen-Bund und die Deutsche Gesellschaft zur Förderung der Gehörlosen, Schwerhörigen, Ertaubten und Taubblinden werkeln jedenfalls auch hier fleißig wieder mit – diesmal hoffentlich auch unter Berücksichtigung der Kommunikationsbedürfnisse ertaubter und taubblinder Menschen, auf die das SGB IX nicht eingegangen ist.
WS